Über den menschgemachten Himmel

[…] Nach einem kurzen Spaziergang treten wir in den Innenhof ein, der eine tiefe Ruhe ausstrahlt. Aus dem Pavillon dringen seltsame Orgeltöne, die mich sofort in den Bann ziehen.

Im Inneren stehen wir vor einer Wand mit Votivbildern – Gemälden, die Heiligen geweiht wurden –, da­neben ein Ölgemälde von Melchior Paul von Deschwanden, das «Gottvater Wetter Föhn» zeigt. Rechts eines von Jakob Joseph Zeiger mit einer naturalistischen Ansicht des Stanser Bodens. Am Boden schaut in der Zeichnung von Theodor von Deschwanden ein Mann mit seinem «Himmelblick» verklärt nach oben. Dort sticht aus dem Tableau ein Kreis mit fliessenden Blautönen hervor: das Cyanometer, eine Erfindung des aufgeklärten Horace Bénédict de Saussure, der damit das Blau vom Himmel vermessen hat. Was die verschiedenen Werke verbindet, ist der Himmel. Das Interessante dabei: Man meint, es handle sich um verschiedene Epochen, tatsächlich aber stammen mit Ausnahme der Reproduktion des Cyanometers alle Werke, die Christina Hemauer und Roman Keller aus der Sammlung ausgewählt haben, aus dem 18. und 19. Jahrhundert.

Hemauer/Keller arbeiten bereits seit acht Jahren am Thema Himmel und an der Frage, ob der Mensch die Farbe des Himmels verändert. Ging es zu Beginn vor allem um naturwissenschaftliche Fragen, steht mittlerweile die kulturgeschichtliche Ebene im Vordergrund. Jana Bruggmann, die schon vor drei Jahren auf das Künstler:innen-Duo aufmerksam geworden ist, fand deshalb: «In Stans, das eine so stark katholisch geprägte Geschichte hat, konnten wir einen Dialog mit der Sammlung führen und die kulturgeschichtliche Dimension des Himmels ausloten.» Die Quelle des Orgel -Sounds gehört zum Herz­ stück der Ausstellung: Hemauer/Kellers Installation «Voyages atmosphériques (Concerning the Blueness of the Sky)» von 2016. Den Aufnahmen eines Solarballons entnahmen sie eine Pixelreihe und wiesen jedem Farbwert einen Tonwert zu. Spricht man in das Mikrofon, er­ zeugt man Interferenzen im Bild. Eine Metapher für den Einfluss des Menschen auf die Natur und den Himmel. Der Klimatologe Atsumu Ohmura, der für die Theorie der globalen Verdunkelung bekannt geworden ist, erklärt im Interview, welche Faktoren die Farbe des Himmels bestimmen.

Im Winkelriedhaus werden der Prozess und die Methode von Hemauer/Kellers artistic research greifbar. Zu sehen sind auch die originalen Luftaufnahmen des Solarballons, die man ewig betrachten könnte. In den oberen Stockwerken folgt man de Saussures akribisch festgehaltener Expedition von Luzern über Stans nach Engelberg, betrachtet naturalistische Bilder von Zeiger mit den Augen einer Meteorologin und taucht anhand von weiteren Votivbildern in eine ferne und doch nicht allzu ferne Welt ein. Nach dem Durchgang sitzen wir im Innenhof. Die Sonne scheint. Der Himmel ist strahlend blau.

Michel Rebosura, Das Blaue vom Himmel, 041 Kulturmagazin, Mai 05/2022, S. 58

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Über den menschgemachten Himmel
19.3. – 7.8.2022

Nidwaldner Museum
Winkelriedhaus, Engelbergstrasse 54a, Stans