Voyages atmosphériques (Concerning the Blueness of the Sky)

Installationsansicht

An einem heiteren Sommertag, da die Sonne ihre wärmenden Strahlen von einem tiefblauen Himmel wirft – wer würde daran denken, dass das pathetische Azur des Firmaments eines der ganz grossen Dramen der Menschheit widerspiegelt? Darin stehen sich zwei Umweltphänomene gegenüber, welche unsereins – lange jovial unbeachtet – verursacht hat.

Zunächst agiert da die Klimaerwärmung, der man mit dem bereits historisch klassifizierten Pariser-Abkommen von 2015 die Stirn bieten will. Der zweite Protagonist ist das weniger bekannte Phänomen des «Global Dimming», eine ab 1950 gemessene Verdunkelung der Welt. Sie ist einer erhöhten Wolkendichte geschuldet, welche die Ausstösse der Industrienationen verursachen. In unserem Drama hat die wolkige Sonnenbremse des Dimmings zeitweilig die Erderwärmung einigermassen in Schach gehalten. Das gewachsene Umweltbewusstsein der letzten Jahrzehnte hat erfreulicherweise aber doch zu einer Abnahme der hiesigen Industrieabgase geführt. Somit wird das Gewölk gelichtet und das Dimming gebremst, das Klima erwärmt sich ungehindert, der Himmel ist blau und blauer.
Von diesem umwelttheoretischen Faktum führt ein direkter Weg zur Kunst. Nicht nur, weil Christina Hemauer und Roman Keller das Thema in ihrer Installation Voyages athmosphérique im Centre Culturel Suisse künstlerisch umsetzen. Vielmehr auch, weil das Künstlerduo die These vertritt, dass die technische Evolution auf dem Gebiet der Energie – welche im Schlepptau ja die Umweltproblematik mitführt – direkt mit der Kulturgeschichte verwoben ist. A Chronology of Energy- and Art-Related Developments (2013) belegt als eindrückliches Künstlerbuch diese Verquickung. Eine Zeitachse zur Entdeckung und Nutzung von Energiequellen, die bei der Erdentstehung ansetzt und vorläufig 2003 endet, wird darin von den Künstlern und ausgewählten Autoren mit wichtigen Ereignissen der Kunstgeschichte parallelisiert. So wird greifbar, wie die utopisch visionären Kräfte der Wissenschaft und der Kunst sich gegenseitig befruchten und den Weltengang beeinflussen. […]

Mit ihrem Projekt für das Centre Culturel Suisse bieten sie nun dem Drama der Himmelsbläue eine Bühne. Eine Projektion von variierenden Blaustufengradienten, ein DJ-Pult mit zwei Plattenspielern, sphärische Klänge und ein Gespräch mit dem Klimatologen Atsumu Ohmura haben darin ihren Auftritt. Das projizierte Bild zeigt Aufzeichnungen eines selbstgebauten und mit einer Kamera versehenen Solarballons, dessen Entstehung und abenteuerlicher Stratosphärenflug allein schon Stoff für eine Ausstellung wären. Seinen Mitschnitt der Blauheit des Himmels geben Hemauer/Keller aber nicht direkt wieder, sondern sie überführen die Filmbilder rechnerisch in Tonwerte. So entsteht die «himmlische Musik», die auf Platte gepresst nun im Ausstellungsraum erklingt und mittels Mikrophonen wiederum in die Bildspur der Blautöne transponiert wird, die wir sehen. Der DJ ist zwar abwesend, erscheint aber vor dem inneren Auge als stellvertretend für die Menschheit, die das Himmelsblau mit ihrem Tun abmischt, und Ohmura, der Entdecker des Global Dimming, erläutert unser Handwerk des «Soundmixes». Das Publikum wird schauen, hören, staunen und leer schlucken – gerade so, wie im richtigen Leben.

Deborah Keller, Mensch, du DJ der Himmelsbläue, Le Phare 23/2016, S. 8

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Installation

22.4. – 29.5.2016

Centre culturel suisse, Paris
38, rue des Francs-Bourgeois, 75003 Paris

Frankreich, Belgien

Ausstellungsorte

2022: Nidwaldner Museum, Stans
2018: Verbeke Foundation, Kemzeke
2016: Centre culturel suisse, Paris